Verein Freunde der Eisenbahn auf Einladung von STA bei ALSTOM in Savigliano (Piemont).

Eine Abordnung des Vereins Freunde der Eisenbahn besichtigt das Bahnwerk von ALSTOM in Savigliano in Piemont.
24.04.2024

Kürzlich brach Präsident Walter Weiss gemeinsam mit einigen Vorstandsmitgliedern und freiwilligen Helfernzu einer besonderen Fahrt auf.
Zunächst ging es per Bahn nach Turin, wo ein Großteil der Gruppe nächtigte. Am Abend trafen wir auf Diplomingenieur Michael Prader, Bereichsleiter der STA und für die Elektrifizierung der Vinschgaubahn sowie die Beschaffung von Rollmaterial zuständig. Wir genossen auf Einladung der STA die vorzügliche piemontesische Küche im Restaurant "3 Galline".
Am Morgen des Folgetages brachte uns der Regionale Veloce vom vorbildlich restaurierten Bahnhof Porta Nuova aus nach Savigliano in der Provinz Cuneo. Dort stellt die Weltfirma ALSTOM in einem weitläufigen Werk Schienenfahrzeuge her, eben auch jene von Südtirol und Nordtirol bestellten 21 Züge des Typs Coradia Stream, die im Einsatz unser Bahnangebot revolutionieren werden. Das Ziel der Reise war, den Produktionsprozess zu studieren und die damit befassten Ingenieure kennenzulernen.
Wir bekamen trittfeste Schuhe, Warnwesten, Helme und Schutzbrillen.
Zunächst stellte uns Ing. Russo den Konzern ALSTOM und dessen Entwicklung vor. Weltweit ist die Firma mit Hauptsitz in Frankreich in etwa 100 Ländern präsent und die Gesamtzahl der Beschäftigten liegt bei stolzen 80.000. Die Marke ist sehr mit dem französischen TGV verbunden, mittlerweile wird diese Reihe unter der Bezeichnung "Avelia" weiterentwickelt. Eine ganze Reihe von ALSTOM gebauten Hochgeschwindigkeitszügen sind in vielen Ländern im Einsatz. Eine einzigartige Erfolgsgeschichte.
In Italien hat die Firma noch Niederlassungen in Vado Ligure, Bologna, Sesto San Giovanni und Nola. In letzterem Sitz bei Neapel werden die italo-Züge gewartet.
Saviglianos lange Tradition im Schienenfahrzeugbau beginnt im Jahre 1853. Verschiedene Unternehmen waren hier tätig, unter anderem auch FIAT FERROVIARIA. Geschichte gemacht hat seit 1988 die Produktlinie Pendolino, ein Zug, der sich in den Kurven neigt und diese somit schneller durchfahren kann. Viele Länder haben solche Züge im Einsatz. Wir in Südtirol kennen auch die Italo-Züge, die von ALSTOM stammen, sowie die Minuetti und die Jazz-Züge des Trentino. Die neueste Entwicklung sind Züge, die mit Wasserstoff angetrieben werden. Diese Antriebsart befindet sich unter anderem in Deutschland in Erprobung. ALSTOM entwickelt auch Sicherheitssysteme für Eisenbahnen und sorgt für die Wartung der Fahrzeuge. Pro Monat verlassen 1 Hochgeschwindigkeitszug und 7 Regionalzüge das Werk von Savigliano.
Kommen wir nun zu unserem eigentlichen Besuchsanlass, zu den neuen Zügen für die Europaregion Tirol, die hier gebaut werden. Ingenieur Genta erläuterte uns das Projekt ETR160 STA. Dieser Zug stellt ganz besondere Anforderungen: Er soll auf der Strecke der STA (Vinschgaubahn), auf den RFI- und grenzüberschreitend auf ÖBB-Strecken laufen (und dereinst auch im BBT). Das bedeutet drei verschiedene Stromsysteme und drei verschiedene Signalsyteme! Und die Fahrgäste sollen beim Übergang der Systeme gar nichts merken. Die technischen Spezifika sind demnach folgende: Gelenktriebwagen mit 6 Wagen, mehrstromfähig, 127,9 m lang, 20 Tonnen Achsdruck, Höchstgeschwindigkeit 160 km/h, drei Wagen mit Antrieb, 10 Türen pro Seite für schnellen Fahrgastwechsel, 379 Sitzplätze + 2 Sitzplätze für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Der Zug hat nur an den jeweiligen Enden Stufen, sonst ist er durchgängig eben, mit zwei Rampen im Mittelteil. Als besondere Neuerung weist er einen eigenen Fahrradwagen auf. Es gibt zwei Toiletten, eine davon behindertengerecht. Die Sitze sind allerdings nicht auf die Fenster ausgerichet, aber man hat versucht, so wenig als möglich Sitze ohne Aussicht zu schaffen. Wir konnten auch einen Blick auf das geplante äußere Erscheinungsbild werfen. Die Grundlackierung ist ein nobles Anthrazit, im Mittelteil erstrecken sich die Farben des Südtirol-Logos jetzt über den ganzen Wagen und tragen dazu bei, dass der Zug einen hohen Wiedererkennungswert hat, wie die Designer und Marketingexperten sagen.
Der Zug besteht aus nicht weniger als 6435 Komponenten, die es gilt, richtig zusammenzustellen!
Und nun begann die interesante Führung durch die Werkhallen. Ausgehend von jener Station, wo die Alluminiumplatten zusammengeschweißt werden, erleben wir, wie Schritt für Schritt die Waggonbasis, die Wände und die Dachformation entstehen. Wie uns ein Werkleiter erklärt, fließen bei diesem Prozess eine Menge technische Überlegungen mit ein. Was Sorgen macht, sind zur Zeit Lieferschwierigkeiten aufgrund der Krise im Roten Meer. Auf uns macht die ganze Produktionslinie einen äußerst professionellen Eindruck. Auf den folgenden Stationen werden alle nur erdenklichen Komponenten eingebaut. Die passgenaue Bereitstellung der Elemente ist eine logistische Meisterleistung. Es gibt zudem ausgeklügelte Überprüfsysteme, um z.B. zu testen, ob die weitverzweigte Verkabelung korrekt erfolgt ist.
Schließlich erreichen wir jenen Fabriksteil, wo unsere Züge entstehen. Einige Waggons haben schon beachtliche Formen angenommen. Wir können auch mit Dipl.-Ing. Micheal Prader in das Innere eines Frontwagens mit Führerstand steigen. Beeindruckend ist die Fülle der Komponenten, die normalerweise hinter Verblendungen verborgen sind. Michael Prader ist mit dem Fortgang der Arbeiten und der Präzision der Ausführung sehr zufrieden und fachsimpelt mit Lokführe René Wieser über die Positionierung bestimmter Schaltelemente im Cockpit. Ab Herbst sollen Züge für Probefahrten zur Verfügung stehen, z.b. für den Eisenbahnversuchsring Velim in der Tschechei und dann für Tests in Italien und Österreich. Erster betrieblicher Einsatz ist für Fahrplanwechsel 2025 geplant. Diese Züge werden für die nächsten 20 Jahre den Bahnbetrieb in der Europaregion Tirol maßgeblich prägen.
Alle Gruppenmitglieder sind fasziniert von den komplexen Montagevorgängen, der professionellen Arbeitsweise und dem gigantischen Ingenierwissen, das dahintersteckt.
Wir sind noch eingeladen, in der Werksmensa zu Mittag zu essen, bevor wir uns bei dem Team an Fachkräften, was uns begleitet hat, dankend verabschieden, reich an Eindrücken und Erkenntnissen über das Entstehen unserer neuen Zugflotte. Der STA und Ing. Michael Prader gebührt großer Dank für das Ermöglichen dieser interessanten und lehrreichen Besichtigung.
Die Teilnehmer der Gruppe waren: Walter Weiss (Präsident); Siegfried Tutzer und Arthur Scheidle (Vorstandsmitglieder); Walter Pixner, René Wieser und Herbert Kaserer (freiwillige Helfer).
Bericht: Herbert Kaserer

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